Es begann im Frühling 2022, als ich wieder alleine wohnte. Eine Freundin erzählte mir, dass ein befreundetes Paar einen alten Rollstuhl besass, den sie nicht mehr brauchten. Sie organisierte ihn kurzerhand für mich – und schon bald unternahmen wir unseren ersten gemeinsamen Ausflug. Dank des Rollstuhls konnten wir unter anderem das Papiliorama in Fribourg besuchen. Natürlich musste sie mich schieben – aber das störte sie kein bisschen. Für mich war es ein ganz besonderes Erlebnis: Endlich konnte ich wieder einen Ausflug wirklich genießen.
Am Tag darauf besuchten wir den Röösli-Zoo in Rothenburg. Auch dort war es für uns beide eine entspannte Zeit. Ohne Rollstuhl hätte ich ständig aufpassen müssen, wo ich hintrete, um nicht zu stolpern oder zu fallen. Beim Stehenbleiben wäre es für mich schwer gewesen, das Gleichgewicht zu halten, um die Tiere zu beobachten. Und beim Weiterlaufen hätte ich erneut mit meinem Gleichgewicht kämpfen müssen.
So aber konnten wir einfach den Moment geniessen – ohne Angst, ohne Stress. Und nicht nur ich, auch meine Freundin hatte Freude daran. Denn wir beide wussten: So mussten wir uns keine Sorgen machen, dass ich zu müde werde oder gar stürze.
Somit, war es beschlossen, dass ich den Rollstuhl mit anderen Freunden ebenso benütze. Oft hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil sie mich herumstossen mussten. Oder ich traute schon gar nicht zu fragen, ob sie mich mit dem Rollstuhl mitnehmen würden. Auch war der Rollstuhl schwer, ins Auto ein und aus zu laden. Das machte mir noch ein grösseres schlechtes Gewissen.
Während eines Ferienaufenthalts mit zwei Frauen sprachen wir viel über mich – über meine Situation, meine Möglichkeiten und meine Zukunft. Damals war ich mir noch unsicher, ob ich wirklich bereit war, einen eigenen Rollstuhl anzunehmen. Ich hatte das Gefühl, dadurch noch mehr Selbstständigkeit zu verlieren – und noch „schwächer“ zu wirken, als ich mich ohnehin schon fühlte.
In diesem Gespräch wurde mir auch vermittelt, dass ich zu wenig für meine Muskeln tue. Ich solle mehr Sport treiben, mich gesünder ernähren – dann würde ich auch wieder stärker werden. Ihre Worte hinterließen ein unangenehmes Gefühl in mir. Einerseits wussten sie nicht, wie schwer es für mich wirklich ist. Andererseits hatten sie in gewisser Weise auch recht: Mein Gewicht war zu hoch, und ich bewegte mich wenig.
Doch was sie nicht verstanden – oder vielleicht nicht verstehen konnten – war, dass es für mich nicht einfach nur eine Frage des Wollens ist. Meine Muskeln bauen sich langsam ab, unabhängig davon, wie sehr ich mich bemühe. Und genau das macht es so schwer, motiviert zu bleiben. Warum sollte ich mich überfordern und abrackern, wenn ich weiß, dass der körperliche Rückschritt dennoch kommt?
Ich hatte Angst. Angst, meine Muskeln zu überlasten. Angst, einen Unfall zu riskieren – was für mich schwerwiegende Folgen haben könnte. Und so versank ich nach diesem Treffen in ein seelisches Tief. Nicht, weil ich nichts ändern wollte, sondern weil ich mich in meiner Realität unverstanden fühlte.
Es verging einige Zeit, bis ich innerlich so weit war, beim Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) offiziell einen Rollstuhl zu beantragen – inklusive eines Zuggeräts, damit mich meine Freundinnen nicht mehr schieben müssen.
Bis mein eigener Rollstuhl fertiggestellt war, stellte mir das SPZ einen Übergangsrollstuhl zur Verfügung. Und genau mit diesem unternahm ich meine ersten eigenen Ferien – im barrierefreien Ferienhotel am Bodensee.
Noch vor der Reise nahm ich Kontakt mit dem Hotel auf, um zu fragen, ob es jemanden gibt, der mit mir Ausflüge unternehmen und mich im Rollstuhl begleiten könnte. Zu meiner Freude kannten sie ein älteres Ehepaar aus dem Dorf, das so etwas mit viel Herzblut macht.
Dank ihrer Unterstützung konnte ich viele schöne Momente erleben – und meine erste selbstständige Ferien in vollen Zügen genießen.
Im August/September 2023 war es endlich so weit: Ich erhielt meinen eigenen Rollstuhl – inklusive Zuggerät.
Kurz darauf machte ich erneut einen Kurzurlaub am Bodensee. Es wurden einige der schönsten Ferien, die ich je erlebt habe. Zum ersten Mal konnte ich ganz alleine Ausflüge unternehmen. Ich war unabhängig, musste niemanden bitten, mich zu schieben, und hatte keine Angst mehr, irgendwo nicht hinkommen zu können.
Die Menschen vor Ort waren freundlich und hilfsbereit. Das Hotel war – wie schon beim letzten Mal – hervorragend rollstuhlgerecht ausgestattet, ebenso die Umgebung.
Was mich besonders berührte: Sobald ich mit Fremden ins Gespräch kam, wussten viele sofort, dass ich im Ferienhotel Bodensee untergebracht war – „dem rollstuhlgerechten Hotel“. Das hat mich wirklich gefreut. Es zeigt, dass Inklusion dort gelebt wird – spürbar und selbstverständlich
